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Selten - eigentlich noch nie, so mich mein Gedächtnis nicht trügt - hat ein Bahnhof bzw. seine Neugestaltung soviel Staub aufgewirbelt wie der Stuttgarter Hauptbahnhof. Im Herbst 2010 war "Stuttgart 21", wie das Projekt abgekürzt genannt wird, die Topschlagzeile nicht nur in der deutschen "Tagesschau", sondern schaffte es auch als Topschlagzeile in die österreichische "Zeit im Bild". Fortschritt - oder sagen wir neutraler - Veränderung wird seit jeher von einem (Gross-)Teil der Bevölkerung skeptisch bis negativ betrachtet - denken wir nur an die ersten Eisenbahnen, an die ersten Dampfrösser, wo Ärzte allerlei Schaden für den menschlichen Organismus vorhersagten, wenn man mit einer Geschwindigkeit von 30 Stundenkilometer oder gar mehr durch die Gegend braust. Skeptische Stimmen gab und gibt es auch bei Bahnhofsumbauten hierzulande in Österreich. Man denke nur an den Abriss des "Marmorsaals" in Salzburg, dieser feinen, edlen, an die Belle Epoque erinnernde Speisegaststätte im alten Salzburger Hauptbahnhof oder die skeptischen Stimmen beim Abriss des Wiener Südbahnhofs, der ja einem neuen Wiener Hauptbahnhof weichen musste. Ehrlich gesagt, wenn man sich so manche "Bahnhofsmodernisierungen" im Detail ansieht, kann man diesen Skeptizismus ja auch verstehen, wichen doch gemütliche Bahnhofsrestaurants austauschbaren Fast-Food-Buden, warme Holzbänke mussten kalten Nirostasitzen weichen, die Warteräume wurden unbeheizt, Toiletten versperrt, Schalter geschlossen und teilweise wurden ganze Bahnhöfe mit der dazugehörigen Infrastruktur geschlossen und statt dessen wurde unter dem Slogan der Modernisierung und der Anpassung an die Kundenbedürfnisse (die wohl nie erhoben wurden) ein "Glaskobel", unbeheizt und zugig, am Bahnsteig errichtet. Traurig, wie sich "modernisierte Bahnhöfe" heute grossteils präsentieren. Von wenigen Ausnahmen abgesehen (bspw. dem Hbf von Lüttich "Liegé-Guillemins", dem adaptierten Gare de Strasbourg oder dem neuen Berliner Hbf) sind die heutigen Bahnhöfe alles andere als "Kathedralen der Mobilität", eher "Hütten des Proletariats". Aber zurück zum Stuttgarter Hauptbahnhof, den ich im Rahmen meiner Exkursion im Februar 2010 ins Elsass auf der Rückreise nach längerer Zeit wieder einmal visitiert hatte. Nach einem guten Mittagessen im Bahnhofsrestaurant "Haxnwirt" machte ich eine kleine Foto-Doku vom Bahnhof und besuchte das "Turm-Forum Stuttgart 21", eine multimediale Aufbereitung des geplanten Umbaus. Vom mit dem Mercedes-Stern gekrönten Turm hat man auch einen prächtigen Blick über die weitläufigen Bahnanlagen sowie den gesamten Stuttgarter Talkessel.
Den Bahnhof selbst, einen klassischen Kopfbahnhof wie bspw. Frankfurt und München auch, finde ich durch seine Ausmasse und Architektur äusserst imposant, für mich ist das noch eine klassische Kathedrale der Mobilität, in der man sich auch wohlfühlen kann. Ein halbes Jahr nach meinem Besuch, als im September die Bagger auffuhren, um den Nordflügel dieser Kathedrale für den neuen unterirdischen Bahnhof von Stuttgart abzureissen, da kam es rund um den alten Bahnhof zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen zwischen den gegen den Abriss demonstrierenden Einwohnern und der die Staatsmacht vertretenden Polizei. Mit ungewöhnlicher Härte und Brutalität wurde auch gegen Frauen und Kinder vorgegangen, zumindest wurde das in den Medien so berichtet. Ich möchte an dieser Stelle keine Wertung vornehmen, ob es hinsichtlich "Zukunftssicherung der Region für die nächsten Generationen" wirklich notwendig ist, solch ein Mammutprojekt mit zahlreichen Risken durchzudrücken (Unterirdischer Durchgangsbahnhof, Projekt Stuttgart S21) oder ob nicht auch eine Modernisierung des bestehenden Bahnhofs (Modernisierter Kopfbahnhof, Projekt Stuttgart K21) ausreichen würde. Zu denken geben sollte aber, mit welcher Unnachgiebigkeit und teilweise schon Brutalität in gegenständigem Fall die Staatsmacht ihre Muskeln spielen liess und den Wunsch von mehr als 100.000 Einwohnern nach einem Kompromiss negierte. Offensichtlich geht es um deutlich mehr als um einen neuen Bahnhof, werden doch durch den Abbruch der riesigen Gleisflächen beste Innenstadtgründe im Wert von mehreren Milliarden Euro vakant.
Meine geschätzte Leserschaft möge sich selbst ein Urteil bilden - dazu habe ich nachfolgend zahlreiche Links aufgelistet, sowohl von Projektbefürwortern, von Gegnern aber auch von Diskussionsforen. Einleitend dazu möchte ich aber in wenigen Stichworten die am häufigsten gehörten Argumente PRO und CONTRA anführen:
PRO Projekt Stuttgart S 21 (Offizielle Kosten 4,088 Milliarden Euro, Inbetriebnahme 2019):
Contra Projekt Stuttgart S 21 (und für Stuttgart K 21):
Links / Literatur: Stuttgart Hauptbahnhof, mit Infos zur Geschichte und Architektur http://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgart_Hauptbahnhof Zur Architektur des Stuttgarter Hauptbahnhofes: http://www.hauptbahnhof-stuttgart.eu Wikipedia-Artikel zu Stuttgart S 21: http://de.wikipedia.org/wiki/Stuttgart_21 Wikipedia-Artikel zu Stuttgart K 21: http://de.wikipedia.org/wiki/Kopfbahnhof_21 Für das Projekt Stuttgart S 21 (Neubau unterirdischer Bahnhof): http://www.das-neue-herz-europas.de/default.aspx Für das Projekt Stuttgart K 21 (Modernisierung als Kopfbahnhof): http://www.kopfbahnhof-21.de/ Schlichtungsversuch zwischen den Gegnern und Nachbesserungsvorschläge (Stuttgart 21 Plus): http://www.schlichtung-s21.de/ Dokumentation aus der traditionsreichen Serie des SWR "Eisenbahnromantik": Folge 728 "Stuttgart 21, ein Milliardengrab?" Diskussionsforum von Eisenbahnfreunden und Eisenbahnexperten "Drehscheibe Online": http://www.drehscheibe-foren.de/foren/list.php?113 Deutsche Bahn AG / DB Projektbau GmbH (Hrsg.), 2007: Neubauprojekt Stuttgart-Ulm. Neue Strecken, neues Verkehrskonzept für die Region, Deutschland und Europa Deutsche Bahn AG (Hrsg.), 2009: Ideen umsetzen, Menschen verbinden, Perspektiven schaffen. Bahnprojekt Stuttgart - Ulm. Das neue Herz Europas. Turmforum Bahnprojekt Stuttgart-Ulm e.V. (Hrsg.), 2009: Das Bahnprojekt Stuttgart-Ulm wird Europas neues Herz. Infobroschüre für die Ausstellung im Turm.
Sollten Sie Anregungen zu den Projekten haben oder eigene Beiträge oder Fotos präsentieren wollen, so freuen wir uns auf eine Kontaktaufnahme. Haben Sie einen Fehler entdeckt? Bitte um Info > redaktion@dokumentationszentrum-eisenbahnforschung.org Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF; Erstmals online publiziert: 7. Januar 2011; Änderungen: - |
Last modified
Sonntag, 24. Mai 2015 22:13:39 +0200
Autor/F.d.I.v.: Kons. Univ. Lekt. Dr. Michael Alexander Populorum DEEF # Dokumentationszentrum für Europäische Eisenbahnforschung #
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