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DEEF-Blog 2012: Alleine im Coupé in den Abend und die Nacht hinein - welch´ seltener Wohlgenuß

Autor: Dr. Michael Populorum, 5.3.2012

Vor ein paar Tagen reiste ich zur Vorstandssitzung meiner Wirtschaftsakademiker nach Graz. Mit dem Zug versteht sich, trotz des Kahlschlags in den Verbindungen gibt es noch 3 durchgehende höherwertige Fernverbindungen. Und da ich um 12.30 in Graz sein mußte, nahm ich den IC um 6.15, geführt mit den deutschen IC-Wagen. Während ich die Hinfahrt ob eines dringenden Projekttermins nur in Arbeit verbrachte und kaum die Schönheiten links und rechts der Strecke wahrnehmen oder gar genießen konnte,  war das auf der Rückfahrt komplett anders.

Beschwingt durch den ersten wirklichen Frühlingstag in der mir liebgewonnenen Grazer Innenstadt, den ich mit einem Mittagessen im Krebsenkeller einläutete, dann in der erfolgreichen Vorstandssitzung prolongierte und obendrein mit einem guten Schluck Wein veredelte, war die Rückfahrt wirklich vom Feinsten.

Ich zog mich in ein Coupé des Wagens 1. Klasse zurück, ließ mich angenehm müde vom Tageswerk in den roten Plüschsessel fallen, zog ihn etwas aus und den gegenüber ganz, sodaß ich dann meine von den Schuhen befreiten Beine entspannt ausstrecken konnte. Von der Kontrolle meiner Fahrlegitimation abgesehen wurde ich auf der ganzen über 4 Stunden dauernden Fahrt nicht mehr belästigt. Auch der Steward aus dem benachbarten Bordbistro ging mehrmals an der Coupétüre vorbei, wohl ahnend, daß ich mich schon rühren würde, wenn ich ein Bier oder einen Vino oder gar eine Konversation benötigen würde.

1. Klasse Abteilwagen der Deutschen Bahn DB

Langsam wurde es dunkel draußen und da ich in einem Coupé saß und nicht in so einem vermaledeiten Großraumwaggon konnte ich das richtig hautnah miterleben, wie die letzten Sonnenstrahlen verschwanden, langsam die Dämmerung einsetzte, die Lichter in den vorbeihuschenden Strassen und Häusern angingen und auch die Automobile links und rechts des Schienenstrangs ihren Scheinwerferkegel auf die Straße und die Umgebung projizierten. War ich froh hier im gemütlichen Coupé zu sitzen, entspannt und frei, und nicht dazu verdammt, eingesperrt in die Blechkarosse hinter dem Volant angespannt durch die Nacht zu irren. Diesen Part erledigte mein Lokführer und die Schienen wiesen ihm den Weg. Und das edel gleitend und nicht die Umwelt verpestend.

Den Schoberpaß hinter uns lassend erreichen wir Selzthal, diesen zwischenzeitlich fast verwaisten aber immer noch magischen Bahnknoten im Ennstal. Der nunmehr einzige Inselbahnhof Österreichs übrigens, nachdem die beiden Schwestern Bischofshofen und aktuell Salzburg Hauptbahnhof ihrer Insellage beraubt wurden. Jaja der Forschritt.

Obwohl der IC seine Fahrtrichtung ab Selzthal geändert hat bleibe ich nun mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzen, blicke also nicht nach vorn sondern betrachte die Landschaft im Rückblick, die Lichter die langsam verschwindend in der Dunkelheit. Zwischenzeitlich habe ich mein Notebook auf das kleine Klapptischerl des alten aber bequemen IC-Coupés gestellt, iTunes gestartet und mit den Doors, Jimi Hendrix, Dire Straits, Creedence Clearwater, U2, REM und Co. geht es durch das Ennstal Richtung Westen. Das gedämpfte Licht im Coupé ermöglicht zum einen Entspannung, Kontemplation - welch ein Unterschied zu dieser grellen ungedimmten "Bestrahlung" in den Großraumwagen der ÖBB - zum anderen ermöglicht es die Umgebung trotz der Dunkelheit zumindest partiell wahrzunehmen.

Heimelig ist es im Coupé, auch die Gewißheit, nur ein paar Schritte in die "Bordkantine" machen zu müssen um ein Pivo oder einen Vino zu kriegen falls es einem danach dürstet, erhöht zusätzlich das Gefühl des "Sich Geborgenfühlens". Das Chili con Carne ist übrigens nicht von schlechten Eltern im DB-Kantinenwagen.

Markant und meine Blicke auf sich ziehend sind die beleuchteten Bänder der Schipisten, die ich schon entlang der Schoberpaßstrecke gesehen hatte und die sich nun im Ennstal im Bereich der berühmten Weltcuporte Haus und Schladming sowie weiter westlich noch ins Salzburgische hinein verstärkt präsentierten. Es machte "klick" und ich erinnerte mich zurück, als ich in den 80er Jahren bei einer Nachtfahrt den feurigen Lavastrom des Ätna aus dem geöffneten Zugfenster sah, als ich von einer meiner zahlreichen Sizilienreisen wieder zurück aufs Festland fuhr. Übrigens eine eher unruhige Nacht, da so eine Horde Sizilianer mir und meinem Kumpel unbedingt eine Transe verkuppeln wollte. Wir flüchteten damals kurz vor Messina von der 2. Klasse in die erste und ab Villa San Giovanni hatten wir eine angenehme und nur unwesentlich teurere Reise in der sonst leeren 1. Klasse bis Napoli, wo wir dann ausgeruht die antiken Stätten in Ercolano und Pompeji geniessen konnten.

Nach Durchtauchen des mehr als 700 m langen Kreuzbergtunnels, der das Fritztal mit dem Salzachtal verbindet, sitze ich ab Bischofshofen wieder in Fahrtrichtung. Eine besondere Freude ist mir immer die Strecke vom Sulzau an Stegenwald vorbei bis zum Durchstich des Lueg, immer entlang der ungezähmten Salzach durch fast unbesiedeltes Gebiet. Auch das soll, geht es nach den Wünschen der "Strommafia", bald Geschichte sein. Aber das ist ein eigenes Kapitel und an diesem herrlichen "Zugabend" mag ich gar nicht daran denken. Außerdem fudelt grad über meine Kopfhörer mir Mark Knopfler ins Ohr mit seinen "Sultans of Swing". Da kann man doch wohl nur positiv denken..

Pünktlich wie es sich für die Eisenbahn gehört laufen wir in Salzburg Hauptbahnhof ein, ein paar Minuten zu spät, um noch einen "Absacker" in der Lounge zu nehmen. Aber die Fahrt war so angenehm und entspannend, daß ich das ohnehin wohl kaum mehr gemacht hätte....

Allerdings erfüllt es mich eher mit Grausen wenn ich daran denke, demnächst wieder mal abends mit dem Railjet unterwegs sein zu müssen, denn da gibt es weder ein gemütliches Abteil noch eine tageszeitlich angepaßte Beleuchtung. Grelle "Stasi-Beleuchtung" vergällt einem das Reisen am Abend und in der Nacht. Dabei hat der Railjet die Möglichkeit das Licht auf sogar 3 Stufen zu dimmen, allerdings gibt es - wie ein Schaffner mir sagte - dazu keine Dienstanweisung - Amen ....

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Bericht von: Dr. Michael Populorum, Chefredakteur DEEF;  Erstmals online publiziert: 5. März 2012; Ergänzungen: :

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Last modified  Samstag, 02. Mai 2015 11:23:35 +0200
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